Inhalt  
  Startseite
  Newsletter
  Gästebuch
  News
  Biologie
  Englisch
  Geschichte
  Religion
  Wirtschaftsenglisch
  Unsere Klasse und Freunde
  Kontakt
  Impressum
  Pädagogik
2006 powered by schul-gau
Heute waren schon 1 Besucher (7 Hits) hier!
Gedichte 2008 (2)

Gedichte 2008 (2)


Hier sind die Stadtgedichte aus dem Buch. Ich habe sie im Internet gefunden und dann auf diese Seite hier gestellt. Es könnte also sein, dass sich die Texte aus dem Buch von den Texten auf dieser Seite unterscheiden! Des Weiteren habe ich drei Gedichte nicht auf die Homepage aufgenommen, da wir sie schon im Unterricht besprochen haben (Storm: "Die Stadt", Tucholsky: "Augen in der Groß-Stadt", Heym: "Der Gott der Stadt").


Übersicht
-
Alfred Lichtenstein 
-
Georg Heym 
-
Arno Holz 
-
Oskar Loerke
- Rainer Maria Rilke 
-
Georg Trakl 
- August von Platen 
- Detlev von Liliencon
- Ernst Stadler
- Paul Zech
- Rolf Dieter Brinkmann





Alfred Lichtenstein


Die Dämmerung (1911)

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.

Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.

An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.



Punkt (1914)

Die wüsten Straßen fließen lichterloh
Durch den erloschnen Kopf. Und tun mir weh.
Ich fühle deutlich, daß ich bald vergeh -
Dornrosen meines Fleisches, stecht nicht so.

Die Nacht verschimmelt. Giftlaternenschein
Hat, kriechend, sie mit grünem Dreck beschmiert.
Das Herz ist wie ein Sack. Das Blut erfriert.
Die Welt fällt um. Die Augen stürzen ein.


 

Georg Heym

Berlin I (1911)

Der hohe Straßenrand, auf dem wir lagen,
War weiß von Staub. Wir sahen in der
Enge Unzählig: Menschenströme und Gedränge,
Und sahn die Weltstadt fern im Abend ragen.

Die vollen Kremser fuhren durch die Menge,
Papierne Fähnchen waren drangeschlagen.
Die Omnibusse, voll Verdeck und Wagen.
Automobile, Rauch und Huppenklänge.

Dem Riesensteinmeer zu. Doch westlich sahn
Wir an der langen Straße Baum an Baum,
Der blätterlosen Kronen Filigran.

Der Sonnenball hing groß am Himmelssaum
Und rote Strahlen schoß des Abends Bahn.
Auf allen Köpfen lag des Lichtes Traum.



Berlin II (1911)

Beteerte Fässer rollten von den Schwellen
Der dunklen Speicher auf die hohen Kähne.
Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne
Hing rußig nieder auf die öligen Wellen.

Zwei Dampfer kamen mit Musikkapellen.
Den Schornstein kappten sie am Brückenbogen.
Rauch, Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen Wogen
Der Gerbereien mit den braunen Fellen.

In allen Brücken, drunter uns die Zille
Hindurchgebracht, ertönten die Signale
Gleichwie in Trommeln wachsend in der Stille.

Wir ließen los und trieben im Kanale
An Gärten langsam hin. In dem Idylle
Sahn wir der Riesenschlote Nachtfanale.



Berlin III (1911)

Schornsteine stehn in großem Zwischenraum 
im Wintertag, und tragen seine Last, 
des schwarzen Himmels dunkelnden Palast. 
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum. 

Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus, 
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt, 
und auf vereisten Schienen mühsam schleppt 
Ein langer Güterzug sich schwer hinaus. 

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein, 
die Toten schaun den roten Untergang 
aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein. 

Sie sitzen strickend an der Wand entlang, 
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein, 
zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.



Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen ... (1912)

Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.

Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zaubrer, wachsend aus den Bodenlöchern,
In Dunkel schräg, die einen Stern beschwören.

Krankheit und Mißwachs durch die Tore kriechen
In schwarzen Tüchern. Und die Betten tragen
Das Wälzen und das Jammern vieler Siechen,
Und welche rennen mit den Totenschragen.

Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.

Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben, ›nun‹ in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.

Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind, und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle viere
Begraben unter Salbei und dem Dorne.

[Das Jahr ist tot und leer von seinen Winden,
Das wie ein Mantel hängt voll Wassertriefen,
Und ewig Wetter, die sich klagend winde
Aus Tiefen wolkig wieder zu den Tiefen.]

Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.

Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.

Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen.
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.

Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt von andern Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen.




Arno Holz

Wintergroßstadtmorgen (???)

Durch
die Friedrichstraße, die
scheußlich
gusseisernen Gaslaternen brennen nur halb,
die
grauen, hässlichen, eintönig toten
Häuserfronten
zwiedämmern schon, der dunsttrübe Wintermorgen
fröstelt,
den alten Weichflauschhavelock kinnunterverknöpft, den kalten,
feuchten,
strohhalmzerknautschten Virginiastummel
schief,
die Seele lasch, die
sogenannten Sinne in jedem sogenannten Sinne
leer,
herzdumpf, schlappschlaff, hirnstumpf,
ausgelaugt
schlendere ich, trolle ich, bummele
ich
nach ... Hause.

Auf dem schwarzen Asphalt,
verdrossen-gleichmütig,
immer einer hinter dem andern,
in
schräger Reihe,
eine
den fahlen, dreckigen, klatschklitschig klumpigen
Eis- und Schneematsch
mit
breiten
Gummiglitschen
vor sich
herschiebende,
herschubbende, herstubbende
Kolonne;
ein
letzter, müder,
kopfwippnickender, altersschwach klappernder
Droschkengaul;
ein
mit einem
großen, geflochten halbrundbügeligen, wachsleinewandverdeckten
Semmelkorb,
schlafschwer, seines Weges
daherstolpernder,
mehlweißblasser, sich mit seinem
linken
Handrücken blöde die Augen reibender
Bäckerjunge;
an
einer Ecke, unweit einer
Litfasssäule,
die
von einem fix geschäftigen,
schirmmützigen,
kniehoch-engen kanonenstiebeligen Kittelaujust
mit
Pinsel, Leiter,
Eifer,
Glattstreichbrett und Kleistereimer,
Plakatblatt um Plakatblatt,
eben
gerade wieder frisch beklebt wird,
ein interessiert gelangweilt zukuckender Schutzmann, der gähnt,
zwischen zwei Dämchen,
die
eine balanziert zwei Schirme, die andre den Stock,
torkelnd, rülpsend,
beide Arme zweischläfrig eingehenkelt,
das
arisch feudale, agrarisch
martiale,
verwogen, oliven, verbogen
kecke,
herausfordernde,
gänzlich
unangebracht, abenteuerlich, romantisch
süddeutsch
spielhahnfederige
Lodenhütchen
kreuzfidel im Genick,
ein
Betrunkener.

In mir,
langsam, schwankend,
allmählich,
traumdeutlich, traumwirklich,
traumlebendig,
traumwahr, traumklar
steigt
ein Bild auf!

Ein ... grüner Wiesenplan ... ein
lachender, lustiger,
lichtblauer
Frühlingshimmel,
ein
weißes ... Schloss mit ... weißen
Nymphen.

Davor ein ... riesiger
Kastanienbaum,
der
breitweitschattend, bodentiefästig, kronausladend,
seine
prangenden, prunkenden, prächtigen,
herrlichen, roten, stolzen, feierlichen
Blütenkerzen
in
einem
stillen Wasser spiegelt!




Oskar Loerke

Blauer Abend in Berlin (1911)

Der Himmel fließt in steinernen Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll von Himmelblauen;
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen

Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und Verstand

Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter Sand
Im linden Spiel der großden Wellenhand.





Rainer Maria Rilke

Die Städte aber wollen nur das Ihre (1905)

Die Städte aber wollen nur das Ihre
und reißen alles mit in ihren Lauf.
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere
und brauchen viele Völker brennend auf.

Und ihre Menschen dienen in Kulturen
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
und fühlen sich und funkeln wie die Huren
und lärmen lauter mit Metall und Glas.

Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,
sie können gar nicht mehr sie selber sein;
das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte
und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein
und ausgeholt und warten, dass der Wein
und alles Gift der Tier- und Menschensäfte
sie reize zu vergänglichem Geschäfte.





Georg Trakl

Vorstadt im Föhn (1912)

Am Abend liegt die Statte öd und braun,
Die Luft von gräulichem Gestank durchzogen.
Das Donnern eines Zugs vom Brückenbogen -
Und Spatzen flattern über Busch und Zaun.

Geduckte Hütten, Pfade wirr verstreut,
In Gärten Durcheinander und Bewegung,
Bisweilen schwillt Geheul aus dumpfer Regung,
In einer Kinderschar fliegt rot ein Kleid.

Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor.
In Körben tragen Frauen Eingeweide,
Ein ekelhafter Zug voll Schmutz und Räude,
Kommen sie aus der Dämmerung hervor.

Und ein Kanal speit plötzlich feistes Blut
Vom Schlachthaus in den stillen Fluß hinunter.
Die Föhne färben karge Stauden bunter
Und langsam kriecht die Röte durch die Flut.

Ein Flüstern, das in trübem Schlaf ertrinkt.
Gebilde gaukeln auf aus Wassergraben,
Vielleicht Erinnerung an ein früheres Leben,
Die mit den warmen Winden steigt und sinkt.

Aus Wolken tauchen schimmernde Alleen,
Erfüllt von schönen Wägen, kühnen Reitern.
Dann sieht man auch ein Schiff auf Klippen scheitern
Und manchmal rosenfarbene Moscheen.





August von Platen

Mein Auge ließ das hohe Meer (1825)

Mein Auge ließ das hohe Meer zurücke,
Als aus der Flut Palladios Tempel stiegen,
An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen,
Die uns getragen ohne Falsch und Tücke.

Wir landen an, wir danken es dem Glücke,
Und die Lagune scheint zurück zu fliegen,
Der Dogen alte Säulengänge liegen
Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke.
 

Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne,
Mit ehrnen Flügeln sehen wir ihn ragen
Auf seiner kolossalischen Kolonne.

Ich steig‘ ans Land, nicht ohne Furcht und Zagen,
Da glänzt der Markusplatz im Licht der Sonne:
Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen?

 


Dies Labyrinth von Brücken
(1825)

Dies Labyrinth von Brücken und von Gassen,
Die tausendfach sich ineinander schlingen,
Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen?
Wie werd ich je dies große Rätsel fassen

Ersteigend erst des Markusturms Terrassen,
Vermag ich vorwärts mit dem Blick zu dringen,
Und aus den Wundern, welche mich umringen,
Entsteht ein Bild, es teilen sich die Massen.

Ich grüße dort den Ozean, den blauen,
Und hier die Alpen, die im weiten Bogen
Auf die Laguneninseln niederschauen.

Und sieh! da kam ein mut'ges Volk gezogen,
Paläste sich und Tempel sich zu bauen
Auf Eichenpfähle mitten in die Wogen.



Wie lieblich ist's (1825)

Wie lieblich ist's, wenn sich der Tag verkühlet,
Hinaus zu sehn, wo Schiff und Gondel schweben,
Wenn die Lagune, ruhig, spiegeleben,
In sich verfließt, Venedig sanft umspület!

Ins Innre wieder dann gezogen fühlet
Das Auge sich, wo nach den Wolken streben
Palast und Kirche, wo ein lautes Leben
Auf allen Stufen des Rialto wühlet.

Ein frohes Völkchen lieber Müßiggänger,
Es schwärmt umher, es läßt durch nichts sich stören,
Und stört auch niemals einen Grillenfänger.

Des Abends sammelt sich's zu ganzen Chören,
Denn auf dem Markusplatze will's den Sänger
Und den Erzähler auf der Riva hören.




Detlev von Liliencon

Auf einem Bahnhof (1890)

Aus einer Riesenstadt verirrt' ich mich
Auf einen weit entlegnen kleinen Bahnhof.
Ein Städtchen wird vielleicht von hier erreicht
Von Männern, die vom Morgen an viel Stunden
Am Pult, in Läden und Kanzlei gesessen,
Und nun den Abend im Familienkreise
Den Staub abschütteln wollen vom »Geschäft«.

Ein glühend heisser Sommertag schloss ab.
Es war die Zeit der Mitteldämmerung.
Der neue Mond schob wie ein Komma sich
Just zwischen zwei bepackte Güterwagen.
Im Westen lag der stumme Abendhimmel
In ganz verblasster milchiggelber Farbe.
Und diesem Himmel stand wie ausgeschnitten
Ein Haufen Schornsteintürme vor der Helle.
Aus allen Schloten qualmte dicker Rauch,
Erst grad' zur Höh', dann wie gebrochen bald,
Beinah im rechten Winkel, einem Windzug
Nachgebend, der hier Oberhand gewonnen.
In wunderlich geformten Öfen dort,
Die offne Stellen zeigten, lohte ruhig,
Ganz ruhig, ohne jeden Flackerzug,
Ein dunkelblauer starker Flammenmantel...
Und aus der grossen Stadt klang dumpf Geräusch,
Ein brodelnd Kochen, das ich einmal schon
Gehört, als vor Paris wir Deutschen ruhten,
Indessen drinnen die Kommune sich
Im Höllenlärme blutige Wangen wusch.
Das fiel mir ein in diesem Augenblick.
Und wie auch damals, kam ein Bild von neuem:
Scharf, wie geputztes Messing blank, erglänzte
Hoch über allem Zank der Jupiter.
Und heut wie einst: Der Jupiter stand oben,
Von allen Sternen er allein zu sehn,
Und schaute auf den ewigen Erdenkampf,
Der mir so wüst in dieser Stunde schien -
Und wie bezwungen sprach ich vor mich hin
Mit leiser Lippe: "Zwanzigstes Jahrhundert."

Um mich war's leer; ein letzter Zug hielt fertig,
Die letzten Arbeitsmüden zu erwarten.
Ein Bahnbeamter mit knallroter Mütze
Schoss mir vorbei mit Eilgutformularen.
Sonst nichts - nur oben stand der Jupiter.
Die blauen Flammen lohten geisterhaft,
Und aus der Stadt her drang verworrner Ton.



In einer großen Stadt (???)

Es treibt vorüber mir am Meer der Stadt,
bald der, bald jener, einer nach dem andern;
ein Blick in's Auge und vorüber schon,
der Orgeldreher dreht sein Lied.

Es tropft vorüber mir in's Meer des Nichts,
bald der, bald jener, einer nach dem andern;
ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon,
der Orgeldreher dreht sein Lied.

Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt,
querweg die Menschen, einer nach dem andern.
Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon,
der Orgeldreher dreht sein Lied.






Ernst Stadler 


Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht
(1913)

Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.
Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter 
    Minengang,
Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: 
    Feuerkreis
Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend . . nur 
    sekundenweis . .
Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur 
    Schicht.
Nun taumeln Lichter her . . verirrt, trostlos vereinsamt . . mehr . . und 
    sammeln sich . . und werden dicht.
Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot – 
    etwas muß kommen . . o, ich fühl es schwer
Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der Boden plötzlich 
    wie ein Meer:
Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern 
    Strom. O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht,
Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses 
    Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht!
Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über blauer See! 
    Bestirntes Fest!
Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt mit letzten 
    Häusern ihren Gast entläßt.
Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. 
    Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang
Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum 
    Meer. Zum Untergang.




Paul Zech

Die Häuser haben Augen aufgetan (???)

Am Abend stehn die Dinge nicht mehr blind
und mauerhart in dem Vorüberspülen
gehetzter Stunden;Wind bringt von den Mühlen
gekühlten Tau und geisterhaftes Blau.

Die Häuser haben Augen aufgetan,
Stern unter Sternenist die Erde wieder,
die Brücken tuachen in das Flußbett nieder
und schwimmen in der Tiefe Kahn an Kahn.

Gestalten wachsen groß aus jedem Strauch,
die Wipfel wehen fort wie träger Rauch
und Täler werfen Berge ab, die lange drückten.

Die Menschen aber staunen mit entrrückten
Gesichtern in der Sterne Silberschwall
und sind wie Früchte reif und süß im Fall.



Rolf Dieter Brinkmann


Einen jener klassischen (1975)

schwarzen Tangos in Köln, Ende des
Monats August, da der Sommer schon

ganz verstaubt ist, kurz nach Laden
Schluß aus der offenen Tür einer

dunklen Wirtschaft, die einem
Griechen gehört, hören, ist beinahe

ein Wunder: für einen Moment eine
Überraschung, für einen Moment

Aufatmen, für einen Moment
eine Pause in dieser Straße,

die niemand liebt und atemlos
macht, beim Hindurchgehen. Ich

schrieb das schnell auf, bevor
der Moment in der verfluchten

dunstigen Abgestorbenheit Kölns
wieder erlosch.


nach oben

Login  
 
Benutzername:
Kennwort:
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden